Chancen im Leben
Bin ich noch verbunden? Verbunden mit dem Leben? Es gibt Erfahrungen, die das Leben verändern können, hin zum Guten wie auch zum Schwierigen. In jedem Fall sind manche Lebensereignisse tatsächlich sehr herausfordernd.
- Susann war 31 Jahre als die Mutter starb … es war wie ihr Tod und in diesem Gefühl lebt sie seit 5 Jahren.
- Melitta und Walter gewinnen am 28.3. im Lotto … sie ziehen nach Spanien, in ihr Traumhaus.
- Josef, eine Führungskraft auf mittlerer Management-Ebene, gab immer alles im Job … bis zum 15.6. … danach jagten ihn Angst und Panik im täglichen Leben.
- Henna lernte Jonas kennen … im Schwimmbad vor 30 Jahren und lebt wie sie gerne sagt, ein Leben mit Ihrem Traummann.
- Erich war 15 Jahre als er seinen ersten und letzten Joint rauchte … danach war seine Welt eine andere.
- Franz gründete voller Zuversicht ein Unternehmen mit einem neuartigen Produkt … ein großes Risiko und es hat geklappt. Er und seine Familie leben sehr gut davon.
Von außen betrachtet liest sich manche Zeile als gute Lebenserfahrung und eine andere Zeile als schlechte Lebenserfahrung. Das eine möchte man auch gerne haben, das andere auf keinen Fall. Doch jeder weiß, dass ein Lottogewinn so manchen Menschen in den Abgrund stürzt. Dann ist das vermeintlich Gute kein Heilsbringer, sondern genau das Gegenteil.
Ein Lotto-Gewinn, der Traumpartner, das erste eigene Unternehmen, ein „Burn-out“, eine drogeninduzierte Psychose, Depressionen, traumatische Erfahrungen … es gibt viele Ereignisse im Leben, die einem aus der Bahn werfen können. Wie Erfahrungen im Leben im eigenen „System“ verarbeitet werden, ist hochgradig individuell. Natürlich gibt es Tendenzen, aber sicher ist es bei keinem Menschen, wie eine Erfahrung aufgenommen wird.
Als Therapeutin und Coach lege ich auf einige Aspekte in der Arbeit mit sich selbst wert. Zwei davon sind:
- Bewusstheit über die eigene HALTUNG in einer Situation (Wie ist meine Haltung JETZT, in dieser Herausforderung?)
- NEUTRALITÄT … bewusst beobachten ohne zu bewerten … einfach AHA, so ist das jetzt … neutral bleiben!
Beides braucht Übung und die Bereitschaft über einen längeren Zeitraum, das auch zu üben. Und wenn es nur 5 min. Übung am Tag sind, so beginnt doch ein neuer Blick auf sich und andere.
Es gibt eine schöne Geschichte, die von dieser Neutralität erzählt:
Ein alter Mann lebte in einem Dorf, sehr arm, aber selbst Könige waren neidisch auf ihn, denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd. Die Könige boten phantastische Summen für das Pferd, aber der Mann sagte dann: „Dieses Pferd ist für mich kein Pferd, sondern ein Freund. Und wie könnte man seinen eigenen Freund verkaufen?“ Der Mann war arm, aber sein Pferd verkaufte er nie.
Eines Morgens fand er sein Pferd nicht im Stall. Das ganze Dorf versammelte sich, und die Leute sagten: „Du dummer alter Mann. Wir haben gewusst, dass das Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre besser gewesen, es zu verkaufen. Welch ein Unglück! Welch ein Unglück! Nein!“
Der alte Mann sagte: „Geht nicht so weit, das zu sagen. Sagt einfach: ‚Das Pferd ist nicht im Stall‘. Ob es ein Unglück ist oder ein Segen, weiß ich nicht.“ Die Leute lachten den Alten aus. Sie hatten schon immer gewusst, dass er ein bisschen verrückt war.
Aber am nächsten Tag kehrte das Pferd plötzlich zurück. Es war nicht gestohlen worden, sondern in die Wildnis ausgebrochen. Und nicht nur das, es brachte auch noch ein Dutzend wilder Pferde mit. Wieder versammelten sich die Leute, und sie sagten: „Alter Mann, du hattest recht. Es war kein Unglück, es hat sich tatsächlich als ein Segen erwiesen.“
Der Alte entgegnete: „Wieder geht ihr zu weit. Sagt einfach: ‚Das Pferd ist zurück.‘ Wer weiß, ob das ein Segen ist oder nicht?“
Der alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der begann, die Wildpferde zu trainieren. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd und brach sich die Beine.
Wieder versammelten sich die Leute. Sie sagten: „Wieder hattest du recht! Es war ein Unglück. Dein einziger Sohn kann nun seine Beine nicht mehr gebrauchen, und er war die einzige Stütze deines Alters. Jetzt bist du ärmer als je zuvor. So ein Unglück! So ein Unglück! Nein!“
Der Alte antwortete: „Geht nicht so weit. Sagt nur, dass mein Sohn sich die Beine gebrochen hat. Niemand weiß, ob dies ein Unglück oder ein Segen ist. Das Leben kommt in Fragmenten, und mehr bekommt ihr nie zu sehen.“
Es ergab sich, dass das Land nach ein paar Wochen einen Krieg begann. Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Militär eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er verkrüppelt war.
Der ganze Ort war von Klagen und Wehgeschrei erfüllt, weil dieser Krieg nicht zu gewinnen war und man wusste, dass die meisten jungen Männer nicht nach Hause zurückkehren würden.
Sie kamen zu dem alten Mann und sagten: „Du hattest recht, alter Mann – es hat sich nicht als Segen erwiesen. Dein Sohn ist zwar verkrüppelt, aber immerhin ist er noch bei dir. Unsere Söhne sind für immer fort.“
Der alte Mann antwortete wieder: „Ihr hört nicht auf zu urteilen. Niemand weiß! Sagt nur, dass man eure Söhne in die Armee eingezogen hat und dass mein Sohn nicht eingezogen wurde. Doch nur Gott, der das Ganze kennt, weiß, ob dies ein Segen oder ein Unglück ist.“
Es ist völlig egal, ob man an Gott glaubt oder nicht. Darauf liegt nicht mein Fokus in dieser Geschichte. Es ist die Neutralität – das Erkennen von Informationen und das Weglassen von Bewertungen. Das macht den Menschen bewusst handlungsfähig. Denn tatsächlich weiß niemand, wie sich Dinge entwickeln. Und es ist kein Hohn, wenn selbst das schwierigste Lebensereignis neutral betrachtet wird. Was bringt die Bewertung, wenn ich gerade eine Herausforderung in meinem Leben zu meistern habe? Was hilft es, wenn ich meine Angst, meine Sorge abwerte? Aus meiner Sicht gar nichts, im Gegenteil – es hält Sie im Alten. Fragen Sie sich das selbst, wenn Sie gerade etwas zu meistern haben.
BEZIEHUNGSTIPP:
Beobachte einmal am Tag 10 min. – egal in welcher Situation du dich befindest – ohne zu bewerten. Einfach nur schauen und die Haltung des AHA einnehmen.
AHA, so ist das jetzt hier. Unabhängig davon, ob du deine eigenen inneren Vorgänge gerade beobachtest oder andere Menschen beobachtest, schau mit der Haltung der Neutralität.
Und ja, so ist es: Die regelmäßige Übung des Beobachtens ohne zu bewerten lehrt einen, neutral auf die Dinge zu schauen. Das entspannt und bringt Klarheit ins Leben.
Beitragsfoto: Meike Schnelting